Latein immersiv

Immersion im Unterricht neuer Fremdsprachen

Die Methode der Immersion, also des vollständigen Eintauchens in eine Fremdsprache, ist eine wissenschaftlich gut erforschte und sehr effektive Art des Spracherwerbs. Das Unterrichtsgespräch findet vollständig in der Fremdsprache statt, wobei eine verstärkte Mimik und Gestik das Sprachverständnis erleichtert. Neue Wendungen und Vokabeln werden durch Vorspielen oder an Bildern gezeigt, ohne sie zu übersetzen.

 

In Vergleichsstudien zum Spracherwerb neuer Fremdsprachen zeigen nicht nur Kinder in den ersten Lebensjahren und im Grundschulalter, sondern auch jugendliche und erwachsene Lerner signifikant höhere Lernfortschritte als die nicht-immersiv lernenden Kontrollgruppen (vgl. z.B. Burmeister/Daniel 2002, Fußn. 1). 

Spracherwerb im Lateinunterricht - Ziele und Methodik

Die Ziele des Lateinunterrichts sind nicht die gleichen wie im Unterricht neuer Fremdsprachen. Im Lehrplan des Landes Schleswig-Holstein für das Fach Latein (Sek. I) heißt es beispielsweise:

 

Die Sprache als Instrument des Denkens und der Kommunikation steht im Mittelpunkt des Lateinunterrichts. Dieser vermittelt Kenntnisse, Fähigkeiten und Einsichten im Bereich der lateinischen Sprache, der Muttersprache und der Sprachreflexion. (Zugriff 3/2014, S. 19, Punkt 2.2.1)

 

Aus den besonderen Anforderungen an den Lateinunterricht ergibt sich der Einsatz anderer Lehrmethoden als für neue Fremdsprachen: Im Schulunterricht wird die lateinische Sprache von einer distanzierten, reflektierten Warte aus betrachtet, da an ihr unter anderem, beispielsweise durch kleinschrittige Übersetzungsprozesse und die Analyse grammatikalischer Phänomene, exemplarisch die allgemeine Sprachkompetenz geschult wird. Da keine eigenen Gedanken in lateinischer Sprache formuliert werden, bleibt den Schülern für gewöhnlich eine immersive Spracherfahrung verwehrt.

Lateinlernen durch Immersion?

In dem Latine Loqui-Workshop lernen Schüler in der Immersionsmethode, einfache Gespräche in lateinischer Sprache zu führen und Bildergeschichten zu erzählen. Auf diese Weise machen sie die Erfahrung, dass sie ihren passiven Wortschatz an gelernten Vokabeln aktiv in der Kommunikation anwenden und sich in der lateinischen Sprache verständigen können.

 

Durch den Lateinunterricht haben die Schüler die Grundstrukturen der lateinischen Grammtik bereits theoretisch erfasst und einen passiven Vokabelwortschatz gelernt. Unserer Erfahrung nach ist bei diesen Voraussetzungen der Schritt zur aktiven Sprachanwendung überraschend klein und die Hemmschwelle, diesen Schritt tatsächlich zu wagen, viel leichter zu überwinden, als es zunächst erscheint.

 

Wir möchten mit unserem Projekt erreichen, dass möglichst viele Schüler die lateinische Sprache mindestens einmal aktiv anwenden, um sie als sprechbare Sprache zu erfahren.


Wir versuchen in unseren Workshops so wenig wie möglich auf die deutsche Sprache zurückzugreifen. Daher zeigen wir unbekannte Vokabeln an Bildern, ohne sie zu übersetzen. Um auf (fast) alle Vokabelfragen vorbereitet zu sein, ist eine große Sammlung an Bildmaterial nötig. Diese wird ständig ergänzt und überarbeitet.

Bei Lerngruppen, die bereits über einen kleinen Grundwortschatz verfügen, setzen wir neben Bildergeschichten gern sogenannte "Wimmelbilder" ein. Hier können die Schüler aus einer Vielzahl detailliert gestalteter Einzelszenen auswählen, was sie beschreiben möchten.

 

Dies ermöglicht eine besonders binnendifferenzierte Arbeitsweise, da jeder Schüler aus einer großen Auswahl selbständig diejenigen Szenen auswählt, die sein Interesse ansprechen und die in ihrer Komplexität und ihren Anforderungen an den Wortschatz seiner Sprachkompetenz angemessen sind.

Bezug des Latine Loqui zum Schulunterricht

Da für eine reflektierende Sprachbetrachtung eine gewisse Distanz notwendig ist, scheint bei den gegenwärtigen Zielen des schulischen Lateinunterrichts ein ausschließlich immersiv abgehaltener Spracherwerb wenig sinnvoll. Das Latine-Loqui-Projekt versteht die immersive Methode daher ausdrücklich nicht als Alternativvorschlag, sondern als Ergänzung zu dem gewohnten Lateinunterricht.

 

Ein partiell immersiver Spracherwerb als ergänzende Erfahrung zum Grammatikunterricht fördert das lateinische Sprachverständnis. Indem die Schüler die lateinische Sprache einmal aktiv anwenden, sollen sie auch langfristig motiviert werden, lateinische Texte über die Betrachtung der grammatischen Phänomene hinaus auch inhaltlich noch intensiver nachzuvollziehen und die enthaltenen Gedanken zu verstehen.

 (1) Vgl. z.B. Petra Burmeister & Angelika Daniel: How effective is late partial immersion? Some findings from a secondary school program in Germany. In: Burmeister, Petra; Piske, Thorsten; Rohde, Andreas (Eds.): An Integrated View of Language Development. Papers in Honor of Henning Wode, Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2002, 499-515